Joris der Treulose

Trommeln (Klaus-Dieter)
Triangel (namenlos)

Nein, nein, nein!

Wer jetzt an einen Schürzenjäger und Weiberhelden denkt, der irrt. Diesen Beinamen hat er sich auf eine ganz besondere Art verdient. Beginnen wir die Geschichte bei seiner Heimat:
Die Hanse brachte für die kleine Hafenstadt, in der Joris aufwuchs, unzählige Reichtümer hervor! Salzbeladene Schiffe, Karren voller Gewürze und Mandeln aus dem fernen Osten – kaum vorstellbar, welcher Luxus dieser Tage die Stadtmauern und Laderampen passierte. Wo früher auf schlammbedeckten Feldern schwer gearbeitet wurde, stehen heute prunkvolle Stadthäuser, Brunnen, Kirchen, Marktplätze, ja sogar Krankenhäuser und natürlich unzählige Lagerräume, in denen die Handelsware akribisch sortiert, gezählt und verwaltet wird. Und hier kommt unser guter Joris ins Spiel. Als vierter Sohn einer Kaufmannsfamilie durchlief er die klassische „Sohnemann“-Laufbahn: Privatunterricht, dann einige Jahre im Internat, gefolgt von einer höheren Schule. So fasste er schnell Fuß unter Händlern und Adeligen gleichermaßen und hatte dann das große Glück, dass der alte, gefräßige Zollmeister mit dem Bauch eines Bierfasses, eines Tages seine letzte Bratwurst verschlang und dieser lukrative Posten kurzerhand ihm zufiel.

Doch die Zeit als strebsamer, treuer Zollmeister sollte nicht von langer Dauer sein. Immer wieder warfen Unstimmigkeiten in den Büchern Fragen auf. Zolleinnahmen, die nie beim König eingingen auf der einen Seite und halsabschneiderische neue Gebühren auf der Anderen. Eine „Umweltsteuer“ für Schiffe mit zu schmutzigen Planken. „Rollgebühren“, wenn Fässer den Kai entlang gerollt und nicht getragen wurden, oder eine Sonderabgabe für „zu salziges Salz“.  Ob diese Gelder wirklich dem König zugingen? Manch einer zweifelte daran und versuchte ihn zur Rede zu stellen. Doch wann immer man dieser Tage am Hafen nach dem Zollmeister fragte, gab es nur eine Antwort: der Fingerzeig auf die Taverne.
Oh weh, Viva Bacchus! Oder sollten wir lieber sagen, Viva Ron Caribico?! Denn von allen Waren, die durch die Stadt getragen wurden, hatte es ihm der gute karibische Rum am meisten angetan! Rum! Klarer, goldener Rum! Düfte reifer Beeren, vollmundige Vanille, wohlige Wärme – tanz´ mit mir, Oh süßer Schleier, lass uns die Nacht zum Tage machen. Oder war es umgekehrt?

Nur wenige Monate im Amt und es war stadtbekannt, dass Joris als Zollmeister vor allem sich selbst und weniger dem königlichen Fiskus diente. Als diese Gerüchte schließlich auch die Hauptstadt erreichten, hatte der König längst genug und entsandte sogleich seine wunderschöne Gemahlin, den Fall zu prüfen und den Posten neu besetzen. Doch viele Tage vergingen ohne Nachricht aus der Hafenstadt und mit jedem weiteren Sonnenuntergang wuchs die Sorge des Königs, dass seiner Frau etwas Furchtbares zugestoßen sei. Nun, lasst uns die Geschichte hier kurz und nicht allzu schlüpfrig zum ‚Höhepunkt‘ führen: denn „gestoßen“ wurde seine Frau tatsächlich. Allerdings fand sie das ganz und gar nicht furchtbar!

Und so ergab es sich, dass wenig später der König die Nachricht erhielt, dass seine Frau mit einem Schiff die Stadt verlassen hätte – zusammen mit Joris und einigen Reichtümern aus den Zollhäusern. Nicht mal einen Kampf habe es gegeben – denn als Joris erfuhr, welches Schicksal ihm blühen sollte und dass die Stadtwachen bereits auf dem Weg zu seinem Haus waren, ergriff er rasch die Flucht. Ohne Hemd und Hose soll man ihn gesehen haben, unter den Armen zwei gut gefüllte Truhen, mit jedem Schritt klimperte und raschelte es, und dicht hinter ihm folgend eine ebenso unverhüllte Frauensilhouette – die Gemahlin des Königs!

Und so sollte Joris wenig später als „Joris, der Treulose“ durch den König selbst für vogelfrei erklärt und im ganzen Land gesucht werden. Ein Leben auf der Flucht. Vertrieben. Fern der Heimat, pendelnd zwischen Wirtshaus, Hafen und Tavernen, tauchen seitdem immer wieder Gerüchte über ihn auf. So soll er wohl gesehen worden sein, als er zusammen mit einer Bande talentfreier Seeräuber erfolglos versucht hat auf hoher See eine vollbesetzte Marinefregatte des Königs zu entführen. Andere wieder wollen ihn dabei beobachtet haben, wie er einem Admiral die Kleidung stahl, während sich dieser auf dem Donnerbalken entleerte. Auch machen Geschichten die Runde, er verdinge sich schließlich als Musiker mit einer Gruppe anderer Vertriebener. Was davon auch stimmen mag – eines ist sicherlich wahr und steht geschrieben: die Liebe zum Rum. Die ist geblieben.